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Zeitzeugen von Natur­katastrophen können Folge-Generationen helfen

ForschungsNotizen der "Innovativen Hochschule Jade-Oldenburg!"

Naturkatastrophen wie die "Große Sturmflut" vom 16. Februar 1962 an der Nordseeküste hinterlassen große Zerstörung, wie hier am Maade-Deich in Wihelmshaven. Foto: WZ Bilddienst
Naturkatastrophen wie die "Große Sturmflut" vom 16. Februar 1962 an der Nordseeküste hinterlassen große Zerstörung, wie hier am Maade-Deich in Wihelmshaven. Foto: WZ Bilddienst

Zeitzeugen von Natur­katastrophen können Folge-Generationen helfen

Leben Zeitzeugen großer Ereignisse nicht mehr, verstummen die Erinnerungen daran. Das gilt auch für große Naturkatastrophen wie Sturmfluten, Hitzewellen, Erdbeben oder Vulkanausbrüche. Obwohl sie meist Verletzte, Todesopfer und schwere materielle Schäden mit sich bringen, sind in vielen Risikoregionen nachfolgende Generationen nicht ausreichend über Präventivmaßnahmen und Verhaltensweisen im Risikofall informiert. Tritt eine große Naturkatastrophe nach vielen Jahrzehnten erneut in derselben Region ein, kann sie die Menschen ebenso hart und unvorbereitet treffen wie ihre Vorfahren. Forschungen zeigen, dass insbesondere die klimabedingten Risiken – Überschwemmungen, Stürme und Hitzewellen – in ihrer Häufigkeit zunehmen. Besonders für sie wird eine gute Risikokommunikation weltweit wichtiger, auch in Deutschland.

Angehörige und die Menschen im Umfeld von Zeitzeugen haben die Chance, von diesen mehr über die Folgen von Naturkatastrophen und den Umgang damit zu erfahren. So kann zum Beispiel das Wissen um die Orte, die im Falle einer Sturmflut anzusteuern sind oder welche Notfallausrüstung in einem Risikogebiet in einen Haushalt gehören, Leben retten und den Umgang mit dem Risiko erleichtern. Auch lassen sich Vorkehrungen wie Baumaßnahmen treffen, die helfen, bestimmte Schäden abzuwenden oder zu reduzieren. So kann das Wissen der Zeitzeugen nachfolgenden Generationen helfen, sich besser auf den Risikofall vorzubereiten.

Innovative Ansätze der Risikokommunikation

Um das wertvolle Wissen der Zeitzeugen über die Folgen von Naturkatastrophen und implizite Schutzmaßnahmen systematisiert zu erfassen und es den betroffenen Regionen für ein präventives Risikomanagement zur Verfügung zu stellen, hat eine internationale Forschungsgruppe unter Beteiligung von fünf Hochschulen aus Europa und Lateinamerika das Projekt „Citadine“ (französisch für „städtisch“ oder „Bürgerin“) – Citizen Science and Nature-based-solutions for improved disaster preparedness“ – ins Leben gerufen. Federführend am Projekt beteiligt ist die Jade Hochschule, die mit Prof. Dr. Michael Klafft einen Experten für Risiko- und Krisenkommunikation auf der Basis von Informationstechnologie als Projektkoordinator stellt.

Die „Große Sturmflut“ von 1962 an der Nordseeküste

Eine der großen historisch bedeutsamen Naturkatastrophen in unserer Region war die Sturmflut vom 16. Februar 1962 – in Norddeutschland ist sie auch als „Große Sturmflut“ bekannt. Sie traf die deutsche und niederländische Nordseeküste und führte zu Zerstörungen in großem Ausmaß und traf auch Ballungszentren wie Hamburg und Bremen. Zeitzeugen können sich am Projekt „Citadine“ beteiligen. Diese Bilder entstanden kurz nach der Sturmflut:

Das Foto zeigt den Maade-Deich in Wilhelmshaven nach der „Großen Sturmflut“. Der Deich ist an mehreren Stellen gebrochen. Das Wasser strömte weiter den Fluss entlang bis zum Stadtteil Rüstersiel. Foto: WZ Bilddienst
Das Foto zeigt den Maade-Deich in Wilhelmshaven nach der „Großen Sturmflut“. Der Deich ist an mehreren Stellen gebrochen. Das Wasser strömte weiter den Fluss entlang bis zum Stadtteil Rüstersiel. Foto: WZ Bilddienst

„Das Vorhaben ‚Citadine‘ nutzt webbasierte Lösungen, um unter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern Wissen über vergangene Naturkatastrophen zu erforschen und für eine Risikokommunikation sowie eine grüne Stadtplanung nutzbar zu machen.“

Männer der Bundesmarine schleppen Sandsäcke zum Voslapper Seedeich in Wilhelmshaven. Deiche, Gebäude und Betriebe mussten wieder aufgebaut werden. Foto: WZ Bilddienst
Männer der Bundesmarine schleppen Sandsäcke zum Voslapper Seedeich in Wilhelmshaven. Deiche, Gebäude und Betriebe mussten wieder aufgebaut werden. Foto: WZ Bilddienst
Prof. Dr. Michael Klafft (Jade Hochschule)
Prof. Dr. Michael Klafft (Jade Hochschule)

Zeitzeugenberichte für Ausstellungen und Schulunterricht

Im Rahmen des Projektes werden Zeitzeugen großer Katastrophen in den am Projekt beteiligten Regionen die Möglichkeit erhalten, Berichte, Fotos und Materialien wie Zeichnungen über eine Website und Smartphone-App festzuhalten. Diese Informationen werden wissenschaftlich aufbereitet und Lehrkräften und Dozenten als authentisches Multimedia-Material zur Verfügung gestellt. So kann das Wissen der Zeitzeugen in Form von Ausstellungen, Schulunterricht, Vorträgen und weiteren Formen der Informationsvermittlung in das Bewusstsein nachfolgender Generationen einfließen und dazu führen, dass künftige Bevölkerungen besser auf die sich häufenden Risikofälle vorbereitet sind.

Naturbasierte Stadtplanung für eine höhere Lebensqualität

Außerdem soll das Material den Verantwortlichen in der Stadtplanung der Risikoregionen detaillierte Einblicke in die Katastrophenfolgen geben. Denn die Informationen können auch großen Nutzen für die urbane Gestaltung haben: Beispielsweise lassen sich durch gezielte stadtplanerische Maßnahmen die Auswirkungen von Hitzewellen verringern und die Sicherheit und Lebensqualität in gefährdeten Gebieten verbessern. Nachhaltige Infrastrukturen, die das Katastrophenrisiko berücksichtigen, können helfen die Folgen von Katastrophen und somit auch des Klimawandels zu verringern. Insbesondere brachliegende Areale in der Stadt – zum Beispiel nach Schließung von Industriebetrieben – lassen sich in die naturbasierte Stadtplanung einbeziehen, um Erneuerungsprozesse und eine Wiederbelebung der kommunalen Gemeinschaftskultur anzustoßen. Das Wissen von Zeitzeugen kann eine solche Planung noch weiter verbessern.

Vorteile der transnationalen Forschung

Die Regionen der am Projekt beteiligten Länder sind hinsichtlich der vorkommenden Naturkatastrophen vergleichbar: Schwere Überschwemmungen sind in der Region La Plata in Argentinien, in der Dominikanischen Republik wie im polnischen Warschau möglich. In der chilenischen Temuco-Region treten schwere Stürme ebenso wie an der Nordseeküste Deutschlands auf. Durch die internationale Zusammenarbeit besteht zum einen die Möglichkeit, gemeinsam erarbeitete stadtplanerische Präventivlösungen gleich für mehrere gefährdete Regionen nutzbar zu machen. Zudem lassen sich kulturelle Unterschiede zum Beispiel in den Bewältigungsstrategien der Menschen oder der Risikokommunikation in den Bildungseinrichtungen untersuchen.

Hintergrund des Projekts

Gefördert wird das Projekt durch das ERANet-LAC Konsortium, einem Zusammenschluss der Forschungsministerien verschiedener europäischer, lateinamerikanischer und karibischer Länder, welches transnationale Forschungskooperationen unterstützt. Aus Deutschland ist hier das Bundesministerium für Bildung und Forschung beteiligt. Neben der Jade Hochschule gehören Forschungsinstitute und Hochschulen der Dominikanischen Republik, aus Chile, Argentinien und Polen zum Projekt. Die mitarbeitenden Forschenden tragen verschiedene fachliche Schwerpunkte bei, darunter Expertisen zu Ökosystemen und Klimawandel, Software Entwicklung, Risikokommunikation, Nutzerfreundlichkeit im Web, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung. So werden die Ergebnisse für die komplexe Aufgabe transdisziplinär zugunsten mehrerer Regionen erarbeitet.

Über die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg!

Die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg! wurde als Transferprojekt der Universität Oldenburg, der Jade Hochschule und des Informatikinstituts OFFIS, An-Institut der Universität, im Projektzeitraum 2018 bis 2022 mit rund elf Millionen Euro durch die Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ gefördert.

Das Projekt hat innovative Ideen, Hochschulwissen und neue Technologien in die Zielregion getragen und den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben, Wissenschaft aktiv mitzuerleben. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor_innen.
 

Ein Beitrag von:

  • Yukie Yasui
    Yukie Yasui

    yukie.yasui@jade-hs.de