Wirklichkeit wahrnehmen in virtuellen Welten

Jade Hochschule, Universität Oldenburg und Universität Regensburg untersuchen den Einfluss der Audio-Wiedergabe bei Probandenuntersuchungen

Die Wissenschaftler_innen untersuchen, wie ein Vorlesungsraum in der Realität und in der virtuellen Welt über Kopfhörer und VR Brille auf die Probanden wirkt. (Foto: Matthias Blau/Jade HS)
Die Wissenschaftler_innen untersuchen, wie ein Vorlesungsraum in der Realität und in der virtuellen Welt über Kopfhörer und VR Brille auf die Probanden wirkt. (Foto: Matthias Blau/Jade HS)

Wie Menschen die Wirklichkeit wahrnehmen, lässt sich in einer realen Situation erforschen oder im Labor in einer virtuellen Welt, die per Kopfhörer und Virtual-Reality-Brille präsentiert wird. Experimente in der Wirklichkeit sind realistisch, unterliegen jedoch vielen Störfaktoren. Experimente im Labor lassen sich besser kontrollieren, können die vielschichtige Wirklichkeit jedoch nicht vollständig abbilden. Insbesondere hörbare Reize optimal zu simulieren ist noch wenig erforscht. Neue Möglichkeiten komplexe soziale Szenen ins Labor zu holen – speziell auditiv und multisensorisch – untersuchen Wissenschaftler_innen der Jade Hochschule, der Universität Oldenburg und der Universität Regensburg jetzt in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt „Einfluss des Audio-Renderings in virtuellen Umgebungen auf Realismus, Präsenz und sozio-kognitive Verarbeitung“.

Realistische Hörversuche verbessern Raumakustik

Wie die Audio-Wiedergabe die Wahrnehmung in virtuellen Welten beeinflusst, wollen die Wissenschaftler_innen anhand zweier ausgewählter Bereiche analysieren: Raumakustik und Verarbeitung sozialer Situationen in der Virtuellen Realität. „Bei dem Bau von neuen Räumen wird die Akustik oft der visuellen Wahrnehmung untergeordnet“, erklärt Prof. Dr. Matthias Blau vom Institut für Hörtechnik und Audiologie der Jade Hochschule. Modelle, die vor dem Bau erstellt würden, seien bisher oft visuell orientiert. „Realistische Hörversuche im Modell könnten die Raumakustik deutlich verbessern.“ Denn viele unterschiedliche Attribute tragen zum Höreindruck in einem Raum bei - wie unter anderem die Lautstärke, Färbung oder Mischung von Klängen oder die Dauer des Nachhalls. „In einem Konzertsaal wie der Elbphilharmonie sind diese Aspekte von besonderer Bedeutung“, sagt der Leiter des Studiengangs Hörtechnik und Audiologie. Aber auch in den Hörsälen der Hochschulen spiele die Raumakustik eine wichtige Rolle für die Wahrnehmung der Studierenden, nicht nur hinsichtlich der Verständlichkeit von Sprache, sondern zum Beispiel auch bezüglich der Höranstrengung. Die Wissenschaftler_innen wollen nun in Experimenten untersuchen, wie ein virtuell nachgebildeter Vorlesungsraum insbesondere durch die Simulation der Akustik im Vergleich zu dem realen Vorlesungsraum auf die Probanden wirkt. So soll auch untersucht werden, inwieweit der Originaleindruck einer Situation von dem Eindruck in der virtuellen Welt abweicht wenn alle akustischen Merkmale perfekt reproduziert sind. Auch wie der Klang der eigenen Sprache in einem Raum ohne bzw. mit Kopfhörern empfunden wird, ist eine der Forschungsfragen von Prof. Dr. Matthias Blau und seinem Kollegen Prof. Dr. Steven van de Par der Universität Oldenburg.

Am Beispiel einer Vortragssituation wird untersucht, inwieweit eine realistische Audio-Wiedergabe in der virtuellen Welt dazu beiträgt, Angst hervorzurufen oder zu mindern. (Foto: Universität Regensburg)
Am Beispiel einer Vortragssituation wird untersucht, inwieweit eine realistische Audio-Wiedergabe in der virtuellen Welt dazu beiträgt, Angst hervorzurufen oder zu mindern. (Foto: Universität Regensburg)

Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft

Das Projekt „Einfluss des Audio-Renderings in virtuellen Umgebungen auf Realismus, Präsenz und sozio-kognitive Verarbeitung“ wird im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Auditive Kognition in interaktiven virtuellen Umgebungen - AUDICTIVE“ von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für drei Jahre gefördert.

Verarbeitung sozialer Situationen in der Virtuellen Realität

Neben der Raumakustik stellen sich auch psychologische Forschungsfragen, die von Wissenschaftler_innen der Universität Regensburg am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie untersucht werden. Bisher sei die Wirkung der Akustik-Simulation in Virtuellen Räumen auf das Erleben und Verhalten von Personen erst wenig untersucht worden, erklärt Prof. Dr. Andreas Mühlberger. „Wenn wir beispielsweise im Gespräch mit mehreren Personen sind, können wir in realen Situationen sehr schnell feststellen, wer gerade spricht. In der Virtuellen Realität beeinflusst die Akustiksimulation, ob Sie eine Frage einer bestimmten Person zuordnen können.“ Im Rahmen des Forschungsprojekts soll der Einfluss des Audiorenderings auf die räumliche Verortung von Sprache untersucht werden, da dies eine wichtige Komponente von natürlichen sozialen Interaktionen in virtuellen Umgebungen ist. „Je besser die Zuordnung gelingt, umso natürlicher wird auch die Interaktion gelingen.“ Im Rahmen des Forschungsprojekts wird außerdem am Beispiel eines Bewerbungsgesprächs oder eines Vortrags vor vielen Menschen untersucht, inwieweit eine realistische Audio-Wiedergabe dazu beiträgt, das Präsenzgefühl in der virtuellen sozialen Situation zu erhöhen und dadurch die in der Realität hervorgerufenen Wahrnehmungen und Emotionen möglichst genau zu reproduzieren. Auch soll der Einfluss der Audio-Wiedergabe auf sozial-emotionale Lernprozesse erforscht werden. Die Prüfung der Wirkung verschiedener Akustiksimulationen in Virtueller Realität leiste einen wichtigen Beitrag, um virtuelle Realität in Zukunft noch effizienter einsetzen zu können, sowohl bei der Erforschung der psychischen Prozesse bei sozialen Interaktionen als auch der Anwendung, zum Beispiel bei der Therapie von Angststörungen.

Für das Forschungsprojekt sollen umfangreiche Tests mit Probanden durchgeführt werden. Die technische Ausrüstung für die Messungen wurde an der Jade Hochschule über viele Jahre in Vorgänger-Projekten entwickelt. Für die Messungen in Regensburg soll ein Teil der Ausrüstung dupliziert werden. Unterstützung für die visuelle Darstellung erhalten die Forschenden aus dem Fachbereich Architektur der Jade Hochschule.

Ansprechpartnerin in der Redaktion

  • Katrin Keller
    Katrin Keller

    katrin.keller@jade-hs.de