Nachgefragt: Prof. Dr. Bernhard Köster zeigt Szenarien zum Verlauf der Corona-Pandemie auf

In der aktuellen Situation um die weltweit rasche Ausbreitung des Corona-Virus haben Prof. Dr. Bernhard Köster (Professur für Volkswirtschaftslehre und quantitative Methoden) und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Matthias Rieken unterschiedliche Szenarien entwickelt, die den Verlauf der Pandemie aufzeigen. Maike Arnold (Presse & Kommunikation) will es genauer wissen…

Herr Dr. Köster, an Ostern hatten Sie die Hypothese aufgestellt, dass in diesem Jahr weder das Oktoberfest noch die Champions League stattfinden können. Heute wurde das Oktoberfest abgesagt. Wie kamen Sie zu diesem Schluss?

Köster: Erstes Ziel unserer Maßnahmen war in Deutschland zu verhindern, dass die Kapazitätsgrenze des Gesundheitssystems wie in Italien überschritten wird. Grob gesprochen bedeutet das in der Spitze maximal zwei Millionen Infizierte an einem Tag, wenn wir gängigerweise annehmen, dass fünf Prozent der Infizierten intensiver medizinischer Betreuung bedürfen. Für die Glockenkurve der Infizierten, die wir alle aus den Medien kennen, bedeutet dies, dass diese über die Minderung der Übertragungskontakte niedriger werden muss. In der Konsequenz heißt das aber auch, dass die Kurve deutlich breiter wird. Und das bedeutet nichts anderes, als dass der Epidemieverlauf sich verlängert. Unsere groben Abschätzungen legen den Schluss nahe, dass dann alles – natürlich vorbehaltlich des Erfolgs bei der Entwicklung wirksamer Medikamente oder sogar eines Impfstoffes – bis weit in das nächste Jahr dauern wird. Wenn wir kein erneutes Aufflammen der Epidemie wollen, denn auch zwei Millionen Infizierte sind gerade mal zweieinhalb Prozent unserer Bevölkerung, also weit weg von einer Durchseuchung, heißt das für mich, dass wir nicht nur wie angekündigt bis zum 31. August auf Großveranstaltungen verzichten müssen, sondern leider länger. Und so falsch scheinen wir nicht zu liegen, wie eine gerade herausgekommene Studie aus Harvard in "Science" zeigt.

Ihre Berechnungen beruhen auf theoretischen Modellen. Inwieweit lässt sich sagen, dass sich damit der Ausgang der Pandemie tatsächlich vorhersagen lässt?

Köster: Vorhersagen lässt sich der Ausgang damit sicher nicht. Aber in der Rückschau haben wir ein relativ gutes Verständnis für schon abgelaufene Epidemien und daraus können wir Szenarien ableiten, so wie wir es gemacht haben. Glücklicherweise sind wir aber jetzt, anders als etwa bei einem Vulkanausbruch, in der Lage durch Verhaltensänderungen die Zukunft deutlich zu beeinflussen und können damit ungewollte Szenarien vermeiden. Denn drei Infektionswellen wie bei der Spanischen Grippe wollen wir wohl alle nicht.

Wie würden sich die aktuell diskutierten Lockerungen der Maßnahmen auf den Verlauf der Pandemie auswirken?

Köster: Als zentralen Parameter in unserem SIR-Modell haben wir die Kontaktzahl einer infizierten mit einer anfälligen Person pro Tag identifiziert. Die anderen Parameter sind eher medizinisch-biologisch determiniert. Somit heißt eine Lockerung zumindest eine Verlangsamung bei dem Zuwachs der Infizierten. Aber letztlich geht es ja auch nicht darum, möglichst schnell keine Zunahme an Infizierten mehr zu haben, sondern dass unser Gesundheitssystem nicht an seine Grenzen stößt. Da auch unsere Rechnungen solch einen Zustand für Mai/Juni zeigen, ist es durchaus sinnvoll jetzt über Lockerungen zu reden. Nur, es ist klar, dass diese mit Augenmaß geschehen müssen, denn sonst dürfen wir wieder unsere Vorlesungen über exponentielles Wachstum und die Seerosen, die in kürzester Zeit den Teich zuwuchern, halten.

Herr Rieken, Sie haben sich in diesem Zusammenhang mit den ergriffenen Maßnahmen beschäftigt?

Rieken: Ja, gerade die beschlossenen Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene zeigen, wie schwer die derzeitige Coronakrise auch die Wirtschaft trifft. Dies wird insbesondere deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass das beschlossene Hilfspaket der Bundesregierung mit einem Umfang von 353,3 Milliarden Euro das größte in der Geschichte der Bundesrepublik ist. Auch das schon bewährte Kurzarbeiterprogramm, welches seine Wirkung schon in der Finanzkrise 2008/09 zeigen konnte, wurde erneut reaktiviert. Aber auch auf Landesebene sind einige zusätzliche Maßnahmen beschlossen worden. Beispielsweise hat das Land Niedersachsen, neben anderen Maßnahmen, 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um die Leistungs- und Einsatzfähigkeit in der Gesundheitsversorgung zu erhalten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das von Prof. Dr. Bernhard Köster und Matthias Rieken erstellte SIR-Modell können Sie hier nachlesen.

Erklärvideo

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