Anja Willmann an den Fachbereich Architektur berufen

Architektur in Zeiten von Urbanisierung, Nachhaltigkeit und Digitalisierung

Anja Willmann wurde jetzt auf eine Professur für Konstruieren, Energie- und Gebäudetechnik an die Jade Hochschule berufen. Sie lehrt und forscht künftig am Fachbereich Architektur am Studienort Oldenburg. Die Jade Welt fragt nach…

JW: Frau Willmann, was hat Sie zum Wechsel an die Jade Hochschule bewogen?

Willmann: Oldenburg ist mir nicht ganz unbekannt; in meinen ersten Berufsjahren war ich für Behnisch Architekten am architektonischen Konzept des Schlauen Hauses beteiligt und daher viel und oft in Oldenburg. Zudem bin ich in Mecklenburg geboren und aufgewachsen und am Ende des Tages ein Nordlicht. Ich habe mich hier schon immer sehr wohl gefühlt.
Zum anderen forsche ich seit Jahren, zunächst an der ETH Zürich und aktuell noch an der Bauhaus-Universität Weimar, im Bereich energieeffizienter Stadtquartiere. Eine große und sehr aktuelle Fragestellung ist hierbei die Datenaufnahme großer Bestandsareale und die Weiterverarbeitung der Daten bis zum Simulationsmodell. Hier bietet die Jade Hochschule mit ihren Forschungsaktivitäten zum Energetischen Nachbarschaftsquartier Fliegerhorst Oldenburg und den bundesweit renommierten BIM-Tagen besonders spannende Voraussetzungen, um daran an der Jade Hochschule mit hoffentlich neuen und vor allem interdisziplinären Forschungsprojekten anknüpfen zu können. 

JW: Mit welchen Erwartungen und Vorstellungen treten Sie die Professur an?

Zum einen setze ich auf engagierte und zukunftsbewusste Studierende, die den aktuellen Themen und Herausforderungen der Gesellschaft lösungsorientiert und offen gegenübertreten; die nach vorne schauen, aber unser kulturelles Erbe in Bezug auf Bautradition und Technologie im Blick haben. Zum anderen habe ich sehr gute Erfahrungen mit der Verbindung von Forschung und Lehre gemacht: von forschungsorientiertem Lehren und Lernen haben bisher sowohl die Studierenden als auch die Forschungsprojekte profitiert und das würde ich gerne an der Jade Hochschule fortführen. Dabei ergeben sich oft spannende interdisziplinäre Projekte und Kooperationen, unter anderem auch mit Unternehmen der Region.

JW: Welche Schwerpunkte wollen Sie in Lehre und Forschung setzen?

Die drei großen Themen unseres Jahrhunderts sind neben der Urbanisierung und der Nachhaltigkeit auch die Digitalisierung.

Urbanisierung
Wir leben in einem Zeitalter der Städte. Die Weltbevölkerung ist seit 1950 rapide gestiegen: von 746 Millionen auf 3.9 Milliarden in 2014. Asien beherbergt dabei 53 Prozent der Weltbevölkerung (UNEP). Dementsprechend liegt das Aufgabengebiet der angehenden Architektinnen und Architekten vor allem in Entwurfsaufgaben zur innerstädtische Nachverdichtung: Lückenbebauung, Verdichtung, Aufstockung, Umnutzung. Wir brauchen Gebäude, die die Haltung der Effizienz aber auch insbesondere der Suffizienz in Bezug auf ihren Flächenverbrauch und ihren Energieverbrauch verkörpern. In diesem Fall ist weniger mehr.

Nachhaltigkeit
Der Klimaschutzplan der Bundesregierung sieht eine 80-prozentige Reduktion der gesamtdeutschen CO2-Emissionen bis 2050 vor; der Gebäudesektor spielt hierbei eine signifikante Rolle. Nur allein mit Energieeffizienz – also Energie sparen – werden wir diese Ziele nicht erreichen; unsere Gebäude müssen folglich selbst ihren Strom und ihre Wärme aus erneuerbaren Energiequellen produzieren und zwar in deutlich größerem Umfang als die wenigen bisherigen Leuchtturmprojekte. Damit unsere Gebäude zukunftsfähig werden, müssen sie also vom Konsumenten auch zum Produzenten werden und diese Anforderung der sogenannten Prosumenten bringt deutliche Auswirkungen auf die Gestaltung und Ausstattung der Gebäude mit sich. 2050 ist in gut 30 Jahren und jedes Einfamilienhaus hat eine Lebensdauer von 80 Jahren. Damit müsste eigentlich bereits jedes Gebäude, das heute gebaut wird, klimaneutral geplant und errichtet werden, um den Bestand ausgleichen zu können und in der Bilanz 80 Prozent weniger CO2 erreichen zu können.

Digitalisierung
Die fortschreitende Digitalisierung in der Architektur erleichtert diesen Prozess des energiesensiblen Designs. So können bereits in den frühen Entwurfsphasen klassische passive Maßnahmen wie Wintergärten/ Atrien, natürliche Belüftungskonzepte und Materialwahl mittels Simulationen auf ihre energetische Wirkung hin überprüft und so optimiert werden, dass am Ende nur noch sehr gezielt und punktuell aktive Systeme zur Raumkonditionierung in Extremsituationen und zur Energieproduktion eingesetzt werden müssen. Dieser genaue Nachweis der Wirkung traditioneller Baukultur auf den Komfort im Innenraum oder den Heiz- und Kühlbedarf eines Gebäudes war bisher kaum möglich. Auf diese Weise finden auch die traditionellen Bauweisen wieder vermehrt Eingang in zeitgenössische Architektur.

Werdegang

Anja Willmann absolvierte nach einer Ausbildung zur Raumausstatterin ein Architekturstudium an den Hochschulen Wismar, Liechtenstein und an der Oxford Brookes University. Dort schloss sie 2006 ihr Masterstudium in Energy Efficient and Sustainable Building ab. Anschließend war die gebürtige Mecklenburgerin bei Behnisch Architekten in Stuttgart tätig und leitete unter anderem das Projekt Schlaues Haus Oldenburg. Ab 2011 arbeitete die Architektin als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ETH Zürich. 2017 wechselte Willmann an die Bauhaus-Universität Weimar und promoviert seitdem am Lehrstuhl Bauphysik. Im selben Jahr übernahm sie eine Vertretungsprofessur für Energiedesign und Energieeffizienz für Gebäude im Planungs- und Bauprozess an der Frankfurt University of Applied Sciences. Seit dem 1. März 2019 ist sie Professorin für Konstruieren, Energie- und Gebäudetechnik am Fachbereich Architektur der Jade Hochschule.